Konflikte, Streit und Stress: Die Nerven liegen blank – was könnt ihr tun?

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Je länger der Lockdown dauert, desto lauter werden die Durchhalteparolen. Meine Erfahrung als Business-Coach und Heilpraktikerin für Psychotherapie in der Praxis KAGU ist: Die Nerven scheinen blank zu liegen. Es geht schneller, emotionaler und heftiger zur Sache, wenn sich gestritten wird. Die Stresskurve zeigt nach oben. Meine Klienten berichten von Termindruck und dem Gefühl, im Homeoffice nicht mehr abschalten zu können. Wer es aber nicht mehr schafft, „runter zu kommen“, kann seine Gesundheit gefährden – physisch und psychisch.

 

In einer Sekunde von Null auf Hundert?!

Die rationalen Ratschläge aus der Politik, die gut gemeinten Aufmunterungen von Freunden und auch die Tipps aus der Gesundheitswelt kommen nur dann an, wenn jemand noch so weit entspannen kann, dass er oder sie die Botschaften überhaupt noch wahrnimmt.

Wer gerade auf Hundert ist, ist schon gehirntechnisch dazu nicht in der Lage: Denn dann ist Großalarm in der Amygdala (auch: Mandelkern), dem emotionalen Zentrum im Gehirn. In diesem „Gefahrenabwehrzentrum“ geht’s um die Bewältigung von unmittelbar auftretenden Gefahren – in Sekundenschnelle: Kann ich abhauen? Muss ich kämpfen? Oder hilft es, sich „tot zu stellen“? Man kann spüren, wie der Blutdruck steigt, das Herz rast und sich die Muskeln anspannen. Stress pur!

In solch einem Zustand voller Druck und Angst werden Informationen gar nicht mehr, teilweise oder falsch erfasst. Das kann den Konflikt, Streit und Stress noch weiter steigern! Rationale Lösungen oder kluge Ideen sind ebenfalls nicht möglich, wenn der Kopf in einem „Stuck State“ ist.

Komplexes Denken ist im Gehirn nämlich an einer anderen Stelle verortet – in der präfrontalen Großhirnrinde und auch dem Hippocampus als Zentrum für Coolness. Und damit diese Gehirnregionen aktiv werden können, braucht es im wahrsten Sinne „ruhig Blut“. So kann man auf die nächste Herausforderung auch wieder gelassener reagieren!

 

Was kann helfen? Nehmen wir eine Mail mit unschönem Inhalt…

Ob Konflikt, Streit oder Stress: Wer wieder herunterkommen will, kann folgendes tun – nehmen wir als Beispiel eine Mail, die ihr lest und die euch aufregt, unter Druck setzt oder wo ihr das Gefühl habt, aus Wut, Verletzung oder Ohnmacht nicht mehr weiter zu wissen:

  • Atmen: Ihr geht raus aus dem Raum oder der Situation und sagt euch innerlich „Einatmend atme ich ein und ausatmend atme ich aus.“ Langsam! Oder ihr zählt beim Einatmen von 1 bis 4 und 1 bis 6 beim Ausatmen. Das, mindestens dreimal durchgeführt, ist eine akute Möglichkeit, wieder cooler zu werden.
  • Ihr steht auf, und klopft euch mit beiden Händen abwechselnd ab, z.B. indem ihr die Arme über Kreuz legt. Wer sitzen bleibt, tappt sich abwechselnd auf die beiden Knie. Recht schnell, bis ihr merkt, das beruhigt.
  • Ihr trinkt ein Glas Wasser.
  • Ihr zieht euch selbst aus der Situation des Betroffenen heraus. Also, Perspektive wechseln: Stellt euch vor, zwischen dem Computer/Laptop und euch, wie ihr dort sitzt, sei eine Plexiglasscheibe. Ihr steht jetzt geschützt dahinter, auf der anderen Seite also. Ihr wahrt so die Distanz zu euch selbst (Distanz halten haben wir ja in der letzten Zeit geübt). So könnt ihr euch selbst sehen, wie ihr am Schreibtisch sitzt, vielleicht einen roten Kopf habt oder mit verkrampfter Haltung auf dem Stuhl kauert. Ihr selbst seid draußen, hinter der Scheibe, in Sicherheit. Ihr könnt nur noch sehen und hören, was Sache ist. Die Emotionen sind hier für euch (hinter der Scheibe, distanziert) nicht mehr spürbar. Der Puls, der Herzschlag, alles wird wieder ruhig.
  • Ihr könnt so in Ruhe überlegen, ob und was jetzt zu tun ist. Das formuliert ihr in einem Satz an euch selbst, z.B. „Bleib ruhig und tu jetzt gar nichts.“ Diese Handlungsempfehlung sendet ihr dann eurem Ich, welches dort auf der anderen Seite der Scheibe sitzt und gerade die Mail gelesen hat, zu.
  • Dann geht ihr mental wieder zurück in das vormals gestresste Ich: Ihr könnt den Rat aus der dissoziierten Position (von hinter der Scheibe) annehmen. Ihr schüttelt euch vielleicht ein bisschen und gewinnt langsam einen klaren Kopf zurück.
  • Wenn es nicht gleich klappt, macht ihr das ein paar Mal: Raus aus der Betroffenen -Perspektive, hin zu einer guten Meta-Position, wo ihr einen umfassenden Überblick habt. Rat senden. Rat aus der eigenen Position annehmen. In der Regel klappt das gut.
  • Wenn es noch Rest-Gefühle von Angst und Druck gibt: Raus an die frische Luft. Wer eine halbe Stunde durch die Natur marschiert, entspannt sich. Auch eine Nacht drüber zu schlafen, ist eine bewährte Methode.

Es gibt eine Fülle an diesen und weiteren Möglichkeiten, die ihr einsetzen könnt, um einem Konflikt den Wind aus den Segeln zu nehmen – je nach Fall und Typ.

Vom Streit zur Kooperation – das Beispiel mit der Säge

Kennt ihr den Hochzeitsbrauch mit der Säge, mit der das Paar einen Baumstamm durchtrennen soll? Das funktioniert nur, wenn die Bewegungen miteinander harmonieren und das Paar in einen gemeinsamen Rhythmus kommt und sich die Arbeit teil! Wenn beide aber nur an ihrer Seite ziehen, stockt es. Und was braucht man für eine gelingende Kooperation? Guten Willen und persönliche Kommunikation. Sprechen hilft – nicht mailen. Viel Spaß beim Ausprobieren – und ihr müsst euer Gegenüber ja nicht gleich heiraten…

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About Gudrun Jay-Bößl

Gudrun Jay-Bößl, Heilpraktikerin für Psychotherapie, systemischer Coach und NLP-Master. Lösungsorientiert, pragmatisch und humorvoll. Mit innovativen Methoden aus der Kurztherapie auf zu neuen Möglichkeiten für die KlientInnen.