Trauma bewältigen – mit modernen Methoden

Lesezeit: 4 Minuten.

Beginnen wir mit einer kurzen Definition: „Traumatisierte geraten in Situationen, die zum Leben nicht mehr geeignet sind,“ schreibt Prof. Dr. Reinhard Plassmann in „Die Kunst des Lassens“, seinem sehr empfehlenswerten Buch über die moderne Traumatherapie mit EMDR (2. Auflage, Gießen 2010, Seite 22).

EMDR bedeutet Eye Movement Desensitization and Reprocessing und wurde Ende der 80er Jahre von der amerikanischen Psychologin Francine Shapiro entwickelt.

Mit dieser modernen Trauma-Therapieform lassen sich viele Leiden, wie Ängste, Phobien, psychosomatische Störungen, Trauer, Schmerz und Allergien, aber auch einschränkende und darum schmerzvolle Verhaltensmuster in recht kurzer Zeit verändern oder lindern.

Fokussierung ist ein wesentlicher Faktor für Veränderung

Die wesentliche Veränderung läuft über die (Selbst-)Aktivierung von körperlichen Ressourcen, verbunden mit bilateraler Körperstimulation, ab. Wichtig ist, dass der Klient/die Klientin sich auf eine bestimmte Situation fokussiert – die schlimmste, die schwierigste. Um eine Retraumatisierung zu vermeiden, bleibt man als Klient/Klientin mit quasi einem Bein im Hier und Jetzt und geht nur so weit wie nötig kurz in das traumatische Ursprungserlebnis hinein.

Man arbeitet mit zwei Skalen. Erstens, einer Belastungs-Skala, die das schlechte Gefühl beziffert, und zweitens einer Skala, die die positive Veränderung dokumentiert, die der Klient gern haben möchte, wenn er in Zukunft an das damalige Erleben zurückdenkt: Das kann ein Satz sein wie „Ich entscheide“, „Ich kann damit umgehen“, „Ich bin gelassen“.

Der Klient/die Klientin spürt während der Arbeit in sich hinein und benennt die Veränderung u.a. anhand dieser Zahlen. Die Veränderung ergibt sich durch das regelmäßige Prozessieren – so nennt sich die bilaterale Körperstimulation, z.B. über Fingerbewegungen vor den Augen des Klienten/der Klientin oder Tappen auf die Oberschenkel oder in die Handinnenflächen.

 

Die Veränderung läuft über körperliches Empfinden

Jede Traumatisierung durch schlimme Erlebnisse läuft körperlich ab: Die belastenden Erinnerungen und Gefühle liegen als abgespaltene, erstarrte Anteile, abgetrennt von anderen Neuronen abgespeichert im Gehirn. Da liegen sie nun, mitunter schon ein ganzes Leben lang. Und jedes Mal, wenn ein ähnlicher Reiz kommt wie der Ursprungsreiz, aktiviert es diese Neuronen: Die Angst ist wieder da. Oder das Gefühl, ganz klein, hilflos und allein da zu stehen. Flashbacks sind typische Trauma-Symptome.

Weil das Trauma also körperlich spürbar ist, muss auch der Heilungsprozess körperlich repräsentiert sein: Bei EMDR werden diese erstarrten Neuronen wieder an andere neuronale Netzwerke angeschlossen. Das passiert durch die typischen schnellen Hin- und Her- Finger-Bewegungen der Therapeutin vor den Augen des Klienten (s.o., oder andere Formen der bilateralen Körperstimulation mit Klopfen in die Handinnenflächen oder auf die Oberschenkel). So bilden sich neue, heilsame und nicht belastete Neuronennetzwerke.

Es ist, laut Plassmann, als ob man Steine von einem Berg abträgt – es kann mit ganz kleinen Steinchen beginnen. So wie Geröll, das einfach den Berg runterkullert. Oder man kann, in recht kurzer Zeit, auf diese Art den ganzen Berg abtragen.

Übrigens: Auch beim Joggen kann man diese Form der bilateralen Körperstimulation erleben – man fühlt sich nach dem Laufen befreiter, offener, munterer. Im Prinzip ist es also ähnlich wie EMDR J

 

Plötzlich war die ganze Belastung weg – und ein entspanntes, nahezu humorvolles Gefühl da

Ich habe erlebt, dass belastende Situationen, die Klienten gespürt haben, sich schon nach einer kurzen Weile veränderten.

Und ich habe es am eigenen Leib erlebt. Denn auch ich habe natürlich, wie nahezu alle Menschen, traumatisierende Erlebnisse gehabt: In einer Sitzung arbeitete eine Kollegin mit mir zu einer solchen Situation aus dem Berufsleben. Die negative Einstellung über mich selbst, die ich mit meinem schlimmen Erlebnis verbunden hatte, war nach dieser einen Sitzung wie weggeblasen. Stattdessen hatte ich ein selbstsicheres Gefühl und eine gewisse Lockerheit im Umgang mit der „alten Situation“ dazu entwickelt. Das ist auch noch immer so, wenn ich jetzt an die Ursprungssituation zurückdenke: Es tangiert mich nicht mehr.

Die stärkste Ressource war dabei dieses veränderte Körpergefühl – die positive neue Selbstüberzeugung kam „wie aus dem Nichts“ dazu. Meine (Körper-)Reaktion zeigte sich auch in einer anderen Haltung: Aufrecht, fröhlich, sicher. Gelassen.

 

Wir leben und fühlen im Jetzt – nicht in der Vergangenheit, nicht in der Zukunft

„Heilung findet immer im Jetzt statt, genau wie eine Operation“, schreibt der Arzt und Kliniker Plassmann (S.27, a.a. O.). Und: „Es gibt keine Heilung im Damals. Nur was fokussierbar ist, heilt.“ Ich arbeite in der Praxis viel mit Genogrammen: Das sind systemisch-biografische Darstellungen. Sie sind vom Aussehen her ähnlich wie Stammbäume. Genogramme reichen über mindestens 3 Generationen, von den Großeltern über die Eltern bis zu sich selbst und seinen Kindern. Sie legen u.a. wichtige Ereignisse wie Krieg, Flucht, Tod, Krankheit in der Familie und dem eigenen Leben dar. Da erlebe ich es ganz häufig, wie sich die Erinnerung an bestimmte Ereignisse von den Generationen bis zum heute übertragen hat oder wie Klienten alte, belastende Erfahrungen mit sich herum tragen. Wenn wir das in der gemeinsamen Arbeit Klientin/Klient – Therapeutin, verändern – zum Beispiel mehr Selbstbewusstsein über die Aktivierung positiver Ressourcen aus dem Erlebten, oder über EMDR aufbauen, erfolgt das n a t ü r l i c h im Hier und Jetzt. Es verändert das Gefühl an „früher“.

 

„Es ist nie zu spät für eine schöne Kindheit!“

Das Ergebnis: Man kann unbelastet über das Erlebte erzählen, weil man es körperlich verändert spürt. Die interne Bewertung hat sich ebenfalls verändert.

Für die Skeptiker unter den LeserInnen: Das Ganze heißt ja nicht, dass das Geschehene nicht geschehen ist. Aber es ist emotional bewältigt. Es gibt ein berechtigtes, befreites Jetzt. „Das eine war damals – und das war damals und ist jetzt vorbei. Heute ist heute“ kann ein systemischer Lösungssatz für den Klienten/die Klientin dazu lauten.

Der berühmte Autor Erich Kästner hat mal gesagt „Es ist nie zu spät für eine schöne Kindheit“. Das bringt die Veränderung, die u.a. durch EMDR möglich ist, meines Erachtens schön auf den Punkt.

Mehr über meine Vorgehensweise in der Traumatherapie findet ihr hier:

Traumatherapie

 

About Gudrun Jay-Bößl

Gudrun Jay-Bößl, Heilpraktikerin für Psychotherapie, systemischer Coach und NLP-Master. Lösungsorientiert, pragmatisch und humorvoll. Mit innovativen Methoden aus der Kurztherapie auf zu neuen Möglichkeiten für die KlientInnen.